Das blaue Gold unter der Lupe

Die Trinkwasserhygiene steht seit einigen Jahren verstärkt im Fokus. Mit der neuen SVGW-Richtlinie werden die Anforderungen nun konkretisiert. Nicht alle haben daran Freude.

Die «Richtlinie für Hygiene in Trinkwasserinstallationen (W3/E3)» des Schweizerischen Vereins des Gas- und Wasserfaches (SVGW) wurde am 1. September in Kraft gesetzt. Das Dokument beschreibt die notwendigen Massnahmen, um eine einwandfreie ­Trinkwasserqualität nach den Regeln der Technik sicherzustellen. Im Fokus steht dabei nicht die öffentliche Wasserversorgung, sondern die Trinkwasserinstallation kalt und warm in Gebäuden.

Damit nimmt die W3/E3 Gebäudebetreiber und -besitzer deutlicher in die Pflicht. Die Ausformulierung konkreter Massnahmen ist nicht überraschend, zeichnet sich doch seit Jahren eine stärkere Regulierung bezüglich Trinkwasserhygiene ab. Seit dem 1. Mai 2017 gilt das revidierte Lebensmittelgesetz (LMG). Im Zug der Revision wurden auch die Lebensmittelverordnung (LGV) sowie die neue Trink-, Dusch- und Badewasserverordnung (TBDV) in Kraft gesetzt.

Rechtliche Finessen

Die Anforderungen für Bade- und Duschwasser gelten nur für öffentlich zugängliche Gebäude, Private sind davon ausge­nommen. Und wer das Trinkwasser nur für den persönlichen Verbrauch bezieht, untersteht nicht der TBDV. Sobald er jedoch Wasser an Dritte abgibt, muss er die Bestimmungen der TBDV einhalten. Cosimo Sandre, Technischer Berater Wasser beim SVGW, sagt dazu: «Auf der ‹letzten Meile› muss der Eigentümer ­respektive Betreiber mit geeigneten Massnahmen die einwandfreie Trinkwasserqualität bis zur Entnahmestelle sicherstellen.»

Die Verordnung betrifft in diesem Sinn nicht nur die ­Eigentümerschaften von Hotels, Spitälern, Alters- und Pflegezentren, Schul- und Sportanlagen etc., sondern auch die­jenigen, die eine oder mehrere Wohnungen an Dritte vermieten. Dass nicht nur die öffentliche Wasserver­sorgung, sondern auch private Eigentümer und Betreiber stärker in die Pflicht genommen werden, ist laut Sandre sinnvoll: «Für die Gewinnung, Aufbereitung, ­Speicherung und Verteilung von sauberem Trinkwasser werden in der Schweiz ­Milliarden von Franken aufgewendet. Die Verantwortung für die Trinkwasserqualität geht normalerweise beim Hauptwasserzähler von der kommunalen Wasserversorgung auf den Eigentümer oder Betreiber der Gebäude-Trinkwasserinstallation über.»

Mit der neuen W3/E3 werden diese Pflichten nun konkreter formuliert. So etwa die genauen Vorgaben für die ­Trinkwasserinstallation warm: Die ­Temperatur beim Austritt des Warm­wasserspeichers oder Durchflusswasser­erwärmers muss mindestens 60 Grad Celsius betragen. Bei warmgehaltenen Leitungen beträgt die Mindesttemperatur 55 Grad Celsius, bei den Entnahmestellen 50 Grad Celsius. Daneben umfasst die W3/E3 auch zahlreiche weitere Themen, so etwa die folgenden Punkte:

– Wahl von geeigneten Materialien für die Trinkwasserinstallation
– Handhabung von Material, Hygiene auf der Baustelle
– Korrekte Inbetriebnahme und Übergabe der Trinkwasserinstallation
– Anforderungen an provisorische Trinkwasserinstallationen innerhalb oder ausserhalb von Gebäuden
– Grundlagen für die Selbstkontrolle

Die verstärkte Aufmerksamkeit für private Trinkwasserinstallationen geht auf neue Studien und Erkenntnisse insbesondere bezüglich der Legionellen-Problematik zurück. Obwohl der Diskurs über Gesundheit und Krankheit im Jahr 2020 klar vom Coronavirus dominiert wird, bleiben Legionellen ein ernsthaftes Problem. Letztes Jahr registrierte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) in der Schweiz knapp 600 Fälle der Legionärskrankheit. Gegenüber 2016 entspricht dies einer Zunahme der Fälle von rund 60 Prozent. Fachleute gehen zudem von einer hohen Dunkelziffer aus.

Deshalb wurde die Legionellen-Forschung in den letzten Jahren in der Schweiz, aber auch in Europa stark intensiviert. Dadurch ist das Wissen deutlich gewachsen, und dies nicht immer zur Freude der Beteiligten. So haben diverse Forschungsprojekte, aber auch Fälle aus der Praxis gezeigt, dass sich Legionellen nicht nur im Warmwasser, sondern im ungünstigsten Fall auch im Kaltwasser etablieren und/oder vermehren können.

Ebenso ist man auf den sogenannten VBNC-Zustand aufmerksam geworden («viable, but non-culturable»). Bei Temperaturen zwischen 48 und 55 Grad Celsius können sich Legionellen zwar nicht mehr vermehren, sind aber unter Umständen trotzdem lebensfähig und infektiös. Anders gesagt: Wenn sich Legionellen in einer Installation nicht mehr vermehren, heisst dies noch lange nicht, dass alle von ihnen tot sind.

Wenig Begeisterung

Somit ist eigentlich klar, dass Trink­wasserinstallationen in Gebäuden mehr Aufmerksamkeit erhalten müssen. Doch wie viel Selbstkontrolle reicht aus, und wie viel Regulierung braucht es? Opposition gibt es beim Hauseigentümerverband Schweiz. Thomas Ammann, Ressortleiter Energie- und Bautechnik beim HEV Schweiz, nennt dafür drei Gründe: ­Weisungskompetenz, Praktikabilität und Fristen. «Es ist für uns nicht ersichtlich, weshalb der SVGW Vorschriften für Eigentümer und Mieter erlassen kann», sagt Ammann, «denn die Verbandsmitglieder des SVGW sind zur Hälfte Wasserversorgungsunternehmen, kantonale Fachstellen, Fachplaner und wohl vereinzelt auch Sanitärinstallateure. Für diese Berufsgruppen sollte der SVGW sein Regelwerk erstellen.»

Im Unterschied zu den Empfehlungen der Bundesämter, welche weitgehend mit Kann-Formulierungen verfasst sind, schlage der SVGW in der W3/E3 einen verpflichtenden Ton an. «Damit stellt sich der Verband über den Gesetzgeber. Das ist für uns in dieser Form nicht akzeptabel», meint Ammann.

Praxistauglich?

Zudem bemängelt der HEV Schweiz ­einzelne Vorgaben, die «nicht praktikabel» seien, sagt Ammann: «Wenn einzelne Mieter in die Ferien fahren, kann man nicht einfach ganze Stockwerkverteilungen absperren. Ebenso wenig kann der Vermieter den Mieter zwingen, dass dieser jemanden beauftragt, um während Ferien oder längerer Abwesenheiten regelmässig das Wasser laufen zu lassen.» Drittens sei aus Sicht des HEV Schweiz auch die maximale Frist für die Erstbefüllung vor dem Gebäudebezug (72-Stunden-Regel) «übertrieben, gerade bei grösseren Überbauungen».

Die Hauseigentümer seien sich ihrer Verantwortung bezüglich Trinkwasserinstallation durchaus bewusst, sagt Ammann: «Sie lösen regelmässig Unterhaltsarbeiten aus, lassen zum Beispiel Filter kontrollieren oder Boiler entkalken.» Als Eigentümer müsse man sich jedoch darauf verlassen können, «dass diese Arbeiten nach dem aktuellen Stand der Technik ausgeführt werden». Ein Merkblatt mit Tipps und Informationen zum Unterhalt der Trinkwasserinfrastruktur sei deshalb «deutlich zweckdienlicher als umfassende Regelwerke».

Ein «Work in progress»

Beim SVGW nimmt man naturgemäss eine andere Perspektive ein. Von Branchenverbänden erarbeitete Regeln der Technik seien Handlungsanleitungen, die einen Weg zur Einhaltung eines Gesetzes, einer Verordnung oder eines technischen Sachverhalts aufzeigen. Aus diesem Grund beschreibe die TBDV nicht im Detail, wie eine Gebäude-Trinkwasserinstallation zu bauen oder zu betreiben ist, sondern verweise auf die allgemein anerkannten Regeln der Technik.

Es gehe somit nicht um Schikanen, sagt Cosimo Sandre: «Die Richtlinie W3/E3 will mit einer gesamtheitlichen Betrachtung unser ­wichtigstes Lebensmittel Trinkwasser in den Vordergrund stellen und klare ­Anforderungen für die Industrie und die Sanitärbranche definieren.» So solle etwa eine kritische Diskussion über Anzahl und Standort der Kalt- und Warmwasserentnahmestellen geführt werden, um Stagnation zu vermeiden. Ebenso solle Kaltwasser so kalt wie möglich bleiben, weshalb in Zukunft Installationsschächte von Kalt- respektive Warmwasser thermisch zu trennen seien.

Im Diskurs über die neue Richtlinie wird es auch darum gehen, die Abgrenzung zwischen Neubau und Bestand klarer zu formulieren. «Im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Selbstkontrolle des Eigentümers respektive Betreibers und bei Überschreitung der Legionellen-Höchstwerte dienen die in der Richtlinie beschriebenen Massnahmen zur Verbesserung der Trinkwasserhygiene und der guten Ver­fahrenspraxis», sagt Cosimo Sandre. Bei Umbauten, Erweiterungen und Sanierungen von bestehenden Anlagen seien die Anforderungen im Rahmen der technischen Möglichkeiten einzuhalten.